Ambitionierter European Green Deal muss auch Grundlage für angekündigte EU-Konjunkturpakete zur Bewältigung der Corona-Krise sein. Stiftungen appellieren an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für ambitionierten Klimaschutz
Auf Initiative von Foundations 20 haben ein ausgewählter Kreis von Stiftern/Philanthropen und Vertretern von Stiftungen am 18. März 2020 einen Offenen Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geschickt, der die Notwendigkeit eines ambitionierten European Green Deals gegen die Klimakrise mit der Corona-Krise verknüpft. Es ist zu hoffen, dass die darin genannten Impulse auch in die deutsche Politik und in die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr mit einfließen.
OFFENER BRIEF
Stiftungen und Philanthropen unterstützen den European Green Deal – sie erwarten gleichzeitig höhere Ambitionen im Klimabereich, in der internationalen Kooperation und in der Klimafinanzierung sowie die Vereinbarkeit angekündigter Konjunkturmaßnahmen als Folge der globalen Corona-Krise mit den Zielen des Green Deals
Sehr geehrte Frau von der Leyen,
das Jahr 2020 ist besonders wichtig für den internationalen Klimaschutz und für den gemeinsamen Einsatz bei der Umsetzung, um einer nicht mehr einzudämmenden Erderwärmung entgegenzuwirken. Gleichzeitig erfordert die aktuelle Corona-Krise schnelle Unterstützung der Europäischen Wirtschaft. Beides kann und muss zusammengedacht werden.
Die neuesten Erkenntnisse des Weltklimarates IPCC kommen zu dem Ergebnis, dass das CO2 Budget, das uns noch zur Erfüllung der Klimaziele von Paris zur Verfügung steht, kleiner ist als bislang angenommen. Wir müssen demzufolge noch deutlich schneller und kraftvoller handeln.
Unter dem wachsenden Eindruck der schon heute gravierenden Folgen der Klimakrise weltweit für Mensch und Natur (so insbesondere auch bei der Biodiversität) kommt das Herzstück des Pariser Klimaabkommens, die regelmäßige Überprüfung und Anhebung der nationalen Klimabeiträge (NDCs), in diesem Jahr erstmals zur Anwendung, und genau das wird bei der im November stattfindenden UN-Klimakonferenz COP 26 in Glasgow verhandelt und festgelegt werden.
Die Chance muss daher jetzt genutzt werden, die eklatante Lücke zwischen den Zielen des Pariser Klimaabkommens (mit der 1,5-2° Celsius Obergrenze) und den bislang vorliegenden Beiträgen zu schließen. Dies muss aber auch die Grundlage der angekündigten Konjunkturprogramme der EU anlässlich der globalen Corona-Krise sein. Der Europäischen Union kommt als einem der bedeutendsten Wirtschaftsräume mit den dritthöchsten Treibhausgasemissionen der Welt eine zentrale Verantwortung zu.
Wir – Philanthropen, Stifter und Vertreterinnen und Vertreter großer Stiftungen im deutschsprachigen Raum – begrüßen daher Ihre Ankündigung ausdrücklich, das europäische Klimaziel für 2030 im Rahmen Ihres zentralen Vorhabens, des European Green Deals, Richtung -55% anzuheben.
Gleichwohl halten wir das Ambitionsniveau weiterhin für unzureichend, um die globale Begrenzung einer Temperaturerhöhung von nicht mehr als 1.5° bzw. deutlich unter 2° Celsius einzuhalten. Da es ohne „Nature Based Solutions“ nicht gelingen wird, zentrale Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, erwarten wir zudem, dass dem Erhalt der Biodiversität, insbesondere dem Schutz und der Wiederherstellung von wichtigen Ökosystemen, größere Bedeutung zugemessen wird.
Mit besonders großer Sorge sehen wir auch, dass die Vorlage des neuen 2030-Klimaziels erst für das dritte Quartal dieses Jahres geplant ist. Diese Verzögerung steht in Widerspruch zu Ihrem Tempoanspruch bei der Umsetzung des European Green Deal und könnte nach unserer Einschätzung
den gesamten UN-Prozess zur Ambitionssteigerung im Vorfeld der Klimakonferenz in Glasgow ernsthaft in Gefahr bringen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, wir bitten Sie deshalb dringend, dem Vorschlag für das neue NDC der EU höhere politische Priorität einzuräumen und den EU-Klimaplan bereits in der ersten Hälfte dieses Jahres vorzulegen. Dies zusammen mit den zeitgleich zu verabschiedenden Corona-Konjunkturmaßnahmen kann zur notwendigen Beschleunigung der Transformation Europas zur Klimaneutralität führen und nicht zu einem Rückschritt.
So kann sichergestellt werden, dass die EU geopolitisch handlungsfähig bleibt und rechtzeitig mit anderen großen Emittenten in Verhandlungen treten kann. Und nur, wenn Europa seiner historischen Verantwortung entsprechend frühzeitig klare Signale an die internationale Gemeinschaft sendet, kann das Beste aus der europäischen Ambitionssteigerung für die Eindämmung der Klimakrise herausgeholt werden.
Wir begrüßen, dass die Kommission beim European Green Deal der Notwendigkeit von verstärkten transformativen Kooperationen insbesondere auch im privaten Finanzsektor, bei der Forschung, Technologieentwicklung der EU und Implementierung mit anderen großen Staaten – wir sehen da z.B. China, Indien und Südafrika – großen Stellenwert beimisst. Dem EU-China-Gipfel im September dieses Jahres in Leipzig kommt daher besondere Bedeutung zu. Ähnliche Bemühungen in Richtung Indien sind unumgänglich. Es ist gut, dass im Frühjahr 2021 ein EU-Indien-Gipfel unter der portugiesischen Präsidentschaft vorgesehen ist.
Wir sind überzeugt, dass die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ab 1.7.2020 eine dynamisierende Rolle für mehr Klimaschutzambitionen spielen muss und kann. Auch wir werden uns dafür einsetzen und unser an die Bevölkerung gerichtetes umfassendes und aufklärendes Engagement kann dabei hilfreich sein.
Wir als Stifterinnen und Stifter und Vertreterinnen und Vertreter von bedeutsamen Stiftungen stehen auch zu unserer Eigenverantwortung und werden mithelfen, den Green Deal mit Leben zu füllen. Wir betrachten uns selbst als Teil der Lösungen zur Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele der 2030 Agenda mit den SDGs und des Pariser Klimaabkommens.
In diesem Sinne bitten wir Sie, die von Ihnen im Dezember als „Man on the Moon“-Moment gestartete European Green Deal-Dynamik nicht abzubremsen, sondern die ersten notwendigen Meilensteine des Deals dezidiert zu erreichen: höhere Ambitionen im Klimabereich, in der internationalen Kooperation und in der Klimafinanzierung.
Mit Blick auf die Corona-Krise können wir aktuell sehen, wie eine Gesellschaft unverzüglich bereit ist, bedeutsame politische Entscheidungen mitzutragen, sich selbst stark einzuschränken und elementaren wissenschaftlichen Erkenntnissen zu folgen – weil diese Krise als solche konkret benannt und verstanden wird. Das ermutigt und ist ein Zeichen von Solidarität.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Milke Stifter / Vorsitzender Stiftung Zukunftsfähigkeit & Chair Foundations 20
Weitere Unterzeichner:
Alexander Bonde Generalsekretär Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU)
Eberhard Brandes Geschäftsführender Vorstand WWF Deutschland
Stephen Brenninkmeijer Aufsichtsratsvorsitzender European Climate Foundation
Prof. Dr. Reinhold Geilsdörfer Vorstand / Geschäftsführer Dieter-Schwarz-Stiftung
Winfried Kneip Sprecher der Geschäftsführung Stiftung Mercator
Dr. Maritta Koch-Weser Präsidentin Earth3000
Prof. Dr. Michael Otto Stifter / Kuratoriumsvorsitzender der Umweltstiftung Michael Otto und Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung 2° – Deutsche Unternehmer für Klimaschutz
Prof. Dr. Joachim Rogall Vorsitzender der Geschäftsführung Robert Bosch Stiftung
Dr. Michael Schaefer Vorstandsvorsitzender BMW Foundation Herbert Quandt
Dr. Michael Schmidt Stifterfamilie Karl Schmidt
Hans Schöpflin Stifter / Schöpflin Stiftung
Dr. Felicitas von Peter Geschäftsführende Gesellschafterin Forum for Active Philanthropy
Dr. Bernd Welz Vorstandsvorsitzender Klimastiftung für Bürger (gefördert durch die Dietmar Hopp Stiftung)
Hansjörg Wyss Stifter / Wyss Foundation